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Aufgegebene Lungenklinik im Großraum Berlin

Ich konnte die beste Frau von allen (Ephraim Kishon) mal wieder überreden, mit mir loszuziehen. Wir machen uns auf in Richtung Bundeshauptstadt. Diese selbst jedoch gar nicht im Sinn, fahren wir direkt ab in ihren Speckgürtel. Alles neu und gut ausgebaut – Straßenbau neuerster Stand – Geld spielt keine oder zumindest keine große Rolle. Kleine Siedlungen voll schmucker Eigenheime mit wohlgerichteten Vorgärten und vierrädrigen Statussymbolen vor den Doppelgaragen, die wochentäglich ihre Besitzer schnell in die große Stadt und so zum Quellursprung des sichtlichen Wohlstandes bringen: Büros, Ämter und andere berufliche Wirkungsstätten, in denen es wohl eher selten aus direkter physischer Anstrengung schweißtreibend zugeht. Die letzte Siedlung ehrenwerter Häuser hinter uns lassend, parken wir in der Nähe eines noch im Bau befindlichen Kreisverkehrs, dem man auch schon ansieht, dass er weit mehr als nur dem reibungslosen Verkehrsfluss dienen, sondern auch dem hohen ästhetischen Anspruch gerecht werden soll, der hier allenthalben vorherrscht. Man kommt gar nicht auf die Idee, hier einfach mal eine Zigarettenkippe fallen zu lassen und auszutreten (mal angenommen, man wäre Raucher). Die Funktionslosigkeit des kleinen Verkehrsknotenpunkts mit seinen auf ihn zulaufenden, noch jungfräulich pechschwarzen Asphaltbahnen sorgt genau für die Ruhe und Einsamkeit, die hier einst Grund war für die Errichtung der kleinen Lungenheilklinik, der wir gerne eine Visite abstatten möchten. Die ganze Umgebung mit ihren Anzeichen moderner Veränderung sagt uns, dass wir uns gerade noch rechtzeig auf den Weg gemacht haben. Nach noch einer Weile des Fußwegs, der uns über einen kleinen lichten Waldweg führt, sind wir am Ziel. Ein zunächst nicht unerwartetes Bild: den Park um das kleine Sanatorium hat seit Jahrzehnten kein Gärtner mehr betreten. Die Natur brach sich frei Bahn. Die wildwuchernden Sträucher und Hecken sind uns zwar eine beschwerliche aber doch auch willkommene Barriere, entledigt sie uns doch, einmal überwunden, der Gefahr, von unliebsamen neugierigen Blicken erfasst zu werden. Nichts ist schlimmer, als von den selbstgerechten Hobbysheriffs erspäht zu werden, die sofort Alarm schlagen, als ginge es um Mord, Totschlag oder Hochverrat oder alles zusammen. Ihr „Einsatz“ muss ihnen eine innere Befriedigung verschaffen. Können sie sich so doch mal dafür rächen, dass sie verkannter Weise und natürlich völlig zu Unrecht da und dort zu kurz gekommen sind in ihrem Leben. Hallo ich weiß was – denn ich hab’s genau gesehen! Aber keine selbstberufenen Ordnungshüter derlei Provenienz in Sicht, schlagen wir uns ins und erfolgreich durchs Gestrüpp. Vor uns liegt abgeschieden und vom Verfall gezeichnet die kleine Lungenheilstätte, in der die von der Schwindsucht befallenen und geplagten auf Linderung hofften, in der Zeit, in der es noch dauern sollte, bis Robert Koch durch einen wahrlichen Zufall das Penizillin entdeckte. Wir treten näher und entdecken schnell eine offen stehende Tür am moosbelegten und ebenso dicht umwachsenen Wintergarten. Den Winkel des Türblattes überhaupt nicht verändernd treten wir freien Schrittes ein. Wir stehen in einem großen Raum, in dem ein von der Feuchtigkeit inzwischen sichtlich aufgedunsener Flügel steht, getroffen von den fahlen Lichtstrahlen aus den milchig-blinden Fenstern, die die Vegetation noch etwas frei gelassen hat. Es muss sich um den zentralen Speise- und Aufenthaltsraum handeln. Wir gehen weiter. Wie es sich für ein Krankenhaus per se gehört, lange schmale Flure, von denen eng aneinander liegend die Türen zu den Patientenzimmern führen. Am Ende eines dieser Flure ein bis an die Decke gefliester Raum - der OP-Saal. In einem vom Rost schon sichtlich angefressenen Instrumentenschrank liegen noch ein paar Utensilien aus vergangenen Eingriffen. Wenn man das alles heute sieht, ein Hoch auf die moderne Medizin! Wir streifen weiter durch das alte Gemäuer. Unregelmäßige Schlaglichter der sich inzwischen neigenden Sonne durchschneiden fein die dumpfe, durch die absolute Stille nur noch verstärkt beklemmende Atmosphäre. Von dieser vollends erfasst und alle Fotos dann auch gemacht, gehen wir langsam und mit bedachten Schritten wieder in Richtung Wintergarten, ganz so, als wollten wir die ihre Seelen hier hinterlassenden Patienten in ihrer Ruhe nicht stören. Wir nehmen den gleichen Weg zurück. Es ist fast immer das gleiche: Man kann die in sich aufgenommenen Eindrücke nicht einfach wieder ablegen, wie ein Kleidungsstück an der Garderobe. Das haftet an – wirkt nach, wie ein intensives Parfüm. Und wir wehren uns ja auch gar nicht dagegen – im Gegenteil. Bald schon suchen wir den nächsten „Flacon“ mit der Duftnote „Pure Morbide“.


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